Ballett von Dominique Dumais
Philharmonisches Orchester Würzburg
Mainfrankentheater Würzburg 2023/24
Premiere 15. April 2023
Bühne und Kostüme _ Verena Hemmerlein
Musik von Charles Chaplin, Rota, Ligeti, Beethoven, Vrebalov, Olafs, Ravel, Pucell, Tschaikowski, Enescu
Fotos _ Nik Schölzel




























Pressestimmen
Main Post – 18.04.2023 – Elke Tober-Vogt
Vertragen sich Slapstick und Ernsthaftigkeit?
Erst mit Stille, dann mit tosendem Applaus reagierte das Publikum auf die Annäherung an die Stummfilm-Ikone bei der Premiere des Mainfranken-Theaters. Was das Stück besoders macht.
Potenzial für einen „Straßenfeger“ hatte Intendant Markus Trabasch für die Tanzproduktion „Chaplin“ vorhergesagt. Damit hatte er recht. Mit überbordender Fantasie und Kreativität, dazu natürlich großem tänzerischen Einsatz und Vermögen, näherten sich Ballettdirektorin Dominique Dumais und die Tanzcompagnie des Mainfranken Theaters in Würzburg der Person und dem Geist Charlie Chaplin (1889-1977). (…)
Ein Himmel voller Wolken, an dem Hut-Melonen schweben, davor eine Schar von Tramps mit den typischen Spazierstöcken, eine kleine Treppe hinauf zu einer bühnenbreiten Rampe, eine schiefe Ebene als Rutschbahn wieder hinab: Mit einer quicklebendig erfrischend getanzten Nummer taucht man ein ins Universum von Chaplin, gerät in den Strudel zwischen Slapstick und Tragik, Komödie und großer Ernsthaftigkeit. Die Stöcke fliegen perfekt abgestimmt hin und her – ein erster Ausdruck für Chaplins Perfektion und Detailverliebtheit, die sich durch den gesamten Abend ziehen.
Zauberhafte Momente und ästhetische Bilder zu Beethoven
Bühne und Kostüme (Verena Hemmerlein) dazu das Lichtdesign ((Ingo Jooß), lassen viel Raum für eigene Fantasien und Gedanken. Die zeitliche Brücke schlagen in Farbe gekleidete Menschen unserer Zeit. Doch natürlich haben die Tramps das schwarz-weiße Chaplin-Outfit an. Stummfilmartig werden Titel eingeblendet. Jede Menge bedrückend realer, aber auch ganz zauberhafter Momente und ästhetischer Bilder entstehen: Zu Beethovens langsamem Satz aus dem Klavierkonzert Nr. 3 wird vor tielblauem Hinergrund aus dem Spiel mit einem überdimensionalen Luftballon eines mit dem Universum.
In die märchenhaft diffuse Atmosphäre des Adagio assai aus Ravels Klavierkonzert G-Dur betten das Philharmonische Orchester und Solo-Pianistin Silvia Vasallo Paleologo die profane dHandlung des winterlichen Straßenkehrens. Das Tanzensemble taucht mit dem Presto aus der Darstellung von Kraftlosigkeit und Verzweiflung hinüber in rasante, energiegeladene Formationen. (…)
Das Orchester widmet sich stilsicher der stimigen Musikauswahl: Werke von Rota, Ligeti,Vrebalov, Olafs, Purcell, Tchaikovsky und Enescu ergänzen Filmmusiken von Charlie Chapin selbst. Dann der ganz besondere Auftritt von Dirigent Enrico Calesso: Der „Nonsens Song“ von Charlie Chaplin aus dem Film „Modern Times“ gibt ihm die Chance, sich auch mal als Sänger zu präsentieren. Für seine fröhlich-herzhafte Authentizität erhält er reichlich Applaus.
Regieeinfälle wie das Spiel mit den Brötchen-Schuhen, Tütenkomödie, luftleichter Federflug, dann ein Trauermarsch bereiten den Boden für eine Szene, die unter die Haut geht: Mit der Choreografie zur Zuspielung „Die große Rede“ (Film: Der große Diktator) liefert das Ensemble ein eindrucksvolles Statement von zeitloser Aktualität. (…)
Ballettdirektorin Dumais hatte sich zum Ziel gesetzt, mit ihrem Tanzensemble die Körperlichkeit von Charlie Chaplin zur Weiterentwicklung des eigenen Bewegungsmaterials zu nutzen. Das ist ihr eben so grandios gelungen wie die Verneigung vor Charlie Chaplin durch die Inszenierung eines begeisternden Abends. Das Publikum feierte alle Beteiligten minutenlang mit stürmischem Applaus im Stehen.
Bayerische Staatszeitung – 21.04.2023 – Renate Freyeisen
Getanzte Hommage an den Tramp
Liebenswert, komisch und grotesk elegant in seiner Erscheinung mit Hut, Weste, Fliege und Spazierstock, den zu weiten Hosen, zu großen Schuhen und den ungeschickten Bewegungen: Das war Charlie Chaplin (1889 bis 1977). Er gab in seinen (Stumm)-Filmen den melancholisch-sensiblen Helden, eine Kontrastfigur zu den Vorstellungen von heiler Welt und einen Mahner für mehr Menschlichkeit. (….)
Der Choreografin geht es nicht so sehr um die drollige, skurrile Figur des tollpatschigen Landstreichers, der am Rand der Gesellschaft steht und immer wieder auf die Beine kommt, sondern um die positiven Signale, die er ausstrahlt. So treten auch die Figuren des Chaplin mehrfach auf – die Tänzerinnen und Tänzer der zwölfköpfigen Ballettcompagnie agieren typisch chaplinesk und vor allem mit dem charakteristischen Stock. Die Würzburger Ballettchefin hat dafür genau Chaplins Bewegungssprache in den Filmen analysiert. Wichtig erschien ihr das Timing für die Darstellung der Missgeschicke, die gerade die komödiantische Ausstrahlung, den Slapstick, ausmachen.
Nicht angestrebt hat Dominique Dumais eine einfache Nacherzählung der berühmten Filmklassiker von Chaplin oder auch eine biografische Annäherung an den Lebenslauf des großen Humoristen Sie wollte vielmehr den Humanisten in den Fokus stellen, der sich gegen Unterdrückung, Hass und Intoleranz wehrte. Auch deshalb wurde Chaplins aufrüttelnde Abschlusssrede gegen Gewaltherrscher aus seinem Film Der große Diktator von 1940 eingespielt und tänzerisch begleitet. (…)
Außerdem wählte Dumais Chaplins eigene Musik für die Filmzitate aus City Lights, The Kid und Modern Times. Wegen Chaplins Wertschätzung dafür fehlten auch nicht Sätze aus Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 und Ravels Klavierkonzert G-Dur, gespielt von Silvia Vasallo Paleologo. Auch hörte man Cello-Klänge aus Tschaikowskys Nocturne op.19 als stimmungsvollen Hintergrund für die Sehnsüchte des Tramps. Die musikalischen Nummern wurden gestaltet vom Philharmonischen Orchester Würzburg unter Leitung von Enrico Calesso.
Optisch dominierte die Gestalt des Tramps in vorwiegend schwarzer Kleidung, die in sich ein Sammelsurium von Widersprüchen barg. Ausstatterin Verena Hemmerlein interpretierte diese nicht zusammenpassende Kleidungskombination als Parallele zu Chaplins armer Herkunft. Die Gesellschaft um den Tramp dagegen trägt eher zeitlose Kleidung in gedeckt-bunten Farben.
Die Bühne mit einem niederen Auftrittspodest ist relativ leer und bildet einen imaginären Rahmen; im Hintergrund lassen Ankündigungsplakate und Scheinwerfer an das Ambiente von Drehorten denken. Die weltumspannende Bekanntheit der Chaplin-Filme lässt eine Erdkugel assoziieren. (…)
An Surreales erinnern Hintergründe wie auf Magritte-Bildern mit Wolken. Bei den Träumen Chaplins ist ein Ballon im Einsatz – der dann platzt. Die Türen erlauben neckische Versteckspiele. Projektionen im Hintergrund kündigen Deprimierendes an, und nach dem Widerstand gegen einen Sturm kann die Zerstörung, die er angerichtet hat, nur mit Besen im Takt weggekehrt werden.
Für viel Erheiterung des Publikums sorgt das Bewegungsspiel mit dem Gehstock – das verlangt den Tänzerinnen und Tänzern rhythmische Präzision ab. (…) In raschen Bewegungsabfolgen formieren sich die Tanzenden zu Gruppen, trennen sich wieder, bilden Paare und wechseln von Übermut zu Melancholie. Nach dem sich immer wilder gestaltenden Tanz finden sich alle „Chaplins“ zu einer harmonischen Gemeinschaft. Riesenbeifall!