Ballett von Silvana Schröder
Thüringer Staatsballett 2020/21
Ballet de l’Opera-Théâtre de l’Eurométropole de Metz 2023/24
Choreografie _ Silvana Schröder
Bühne und Kostüme _ Verena Hemmerlein
Licht _ Oliver Rinn
Musik von Frankie Chan, Les Tambours du Bronx, Max Richter…
Fotos _ Luc Berteau, Lutz Edelhoff, Ronny Ristok













































Pressestimmen
Tanz Magazin – März 2022 – Hartmut Regitz
Silvana Schröder Corpus
(…) „Corpus“ nennt Silvana Schröder ihr Ballett in einem Akt, zu dem sie sich u.a. durch einen Besuch der Ausstellung „Körperwelten“ inspirieren ließ. Indes, es ist nicht das Anatomische allein, das sie in diesem Zusammenhang interessiert, auch wenn sich erst einmal etwas herzförmig Geformtes auf die Bühne senkt – feingeädert und zugleich faszinierend vieldeutig entworfen von der Bühnen- und Kostümbildnerin Verena Hemmerlein.
Nein, es ist das Leben selbst, das hier nach einem Leib verlangt und Anderson Patrick Nascimento de Lima stellt den seinen zur Verfügung. Embryonal gekrümmt, windet er sich lange Zeit am Boden, nach Luft schnappend wie ein Fisch, während in der Ferne der Gesang der Buckelwale noch die Ursprünge der Menschwerdung ahnen lässt. (…)
Der Mensch ist bekanntlich ein soziales Wesen. Atmung, Blutkreislauf, jeder Sinnenreiz sieht sich folgerichtig verkörpert in Gruppenszenen, die erst einmal das Verbindende zum Vorschein bringen. Im weiteren Verlauf deuten sich im Körperlichen allerdings auch immer wieder Spannungen an, Konfliktsituationen. Es wird gekämpft ums nackte Überleben. (…)
Fast karatehaft wirkt mancher Kampfgestus. Und zu den schlagkräftigen Rhythmen der Tambours de Bronx lässt sich die Choreografin Szenen einfallen, die Grundsätzliches ganz plastisch zum Ausdruck bringen; schließlich spürt sich ein Körper vor allem im Schmerz. Auf dem hochgefahrenen Orchestergraben findet sich zwischendurch aber auch genug Platz für die Liebe. (…)
„Corpus“ ist kein Handlungsballett im üblichen Sinn, auch wenn Geschichte in Gestalt einer evolutionären Entwicklung dargestellt wird. Die „Naturbeherrschung am Menschen“, um einen Buchtitel des Philosophen Rudolf zur Lippe in Erinnerung zu bringen, zeigt sich hier vielmehr in einer Szenenfolge, die den Kreislauf des Lebens sowohl im Jahreswechsel erspürt, als auch im körperlichen Zerfall eines Menschen. Am Ende bleibt ein Einziger zurück, sich wie zu Beginn am Boden krümmend. Die Körper der anderen scheinen sich zeitgleich im blendenden Licht aufzulösen. Tod und Wiedergeburt: eine starke Szene, anschaulich wie so vieles in einem starken Ballett, ohne allzu konkret zu werden.
Ostthüringer Zeitung – 22.11.2021 – Sabine Wagner
Riesenapplaus für Silvana Schröders Uraufführung „Corpus“ mit dem Thüringer Staatsballett im Theater Gera
Warme, dunkle Töne schwingen im Raum. Aufsteigend scheinbar aus der Tiefe des Meeres, wie es die Videobilder auf dem Bühnenhintergrund suggerieren. Ein Lichtkegel weist den Weg zum Meeresboden. Im Fokus wird ein Mensch geboren, nackt, sich windend, ungelenk. Mit der Menschwerdung zu Walgesängen, inmitten stilisierter Gefäße und Blutbahnen (Bühne und Kostüme: Verena Hemmerlein, Videos: René Grüner) beginnt Freitagabend im Theater Gera Silvana Schröders Neukreation „Corpus“ mit dem Thüringer Staatsballett.
„Corpus“ (…) will kein Handlungsballett sein, wohl aber ein Menschenleben von der Geburt bis zum Tod im Kontext zu Körper und Natur erzählen. Eine gewaltige Aufgabe zur gewaltigen Musik des chinesischen Filmkomponisten Frankie Chan, den treibenden Rhythmen der französischen Percussion-Band Les Tambours du Bronx und den lyrischen Klängen von Max Richter.
Der ewige Kreislauf des Lebens ist das große Thema dieses Ballettabends, der berührt, verstört, Emotionen ganz unterschiedlicher Art auslöst. (…)
Der junge Brasilianer de Lima windet sich mit allen Fasern seines Körpers durch den schmerzvollen Vorgang der Geburt, und er wird ebenso schmerzvoll als gebrochener, alter Mann nach gut 80 Minuten die Weltbühne ins gleißende Licht verlassen. (…)
Kraftvolle Tanzbilder findet die Choreografin auch für immer währende Machtkämpfe. Barfuß, in hautfarbenen Kostümen, bewegen sich die Tänzerinnen und Tänzer fließend, fast animalisch durch die Evolution. Sie probieren den aufrechten Gang, und kaum gelingt der, treten sie mit ihren Stöcken aus dem Schilf und bekriegen einander. (…) Einzelne probieren in kurzen Soli den Ausbruch, das Anderssein. Aus der Gruppe heraus führen Rina Hayashi und Vinicius Leme als Paar die tänzerische Reise durch Raum und Zeit zuweilen an. Schön zu sehen ist, wie sie sich im Duett auf dem Orchestergraben erkennen, küssen, lieben lernen und ihre Sexualität entdecken. (…)
Zu den eindrucksvollsten Momenten gehören die nahezu synchronen Gruppenszenen, die den körperlichen Verfall ankündigen. Wie die Wellen ans Ufer schlagen, bewegen sich die Arme und Beine vor und zurück. Und so, wie das Laub durch die Luft wirbelt, zu Boden fällt und dann noch einmal vom Wind in die Höhe gehoben wird, bäumen sich auch die Körper der am Boden Liegenden auf. Ein starkes Bild.