Musiktheater von Viktor Aslund nach dem Roman von Hermann Hesse
Uraufführung 07. Mai 2016 _ Mainfrankentheater Würzburg
Musiktheater von Viktor Aslund nach dem gleichnamigen Roman von Hermann Hesse
Libretto _ Rainer Lewandowski
Regie und Choreografie _ Anna Vita
Bühne und Kostüme _ Verena Hemmerlein



Fotos _ Prof. Dieter Leistner, Falk von Traubenberg


Pressestimmen

MAINPOST        8. Mai 2016

Mainfranken Theater: Der innere Kampf gegen den Steppenwolf

von Ralph Heringlehner

Der Vorhang fällt. Stille. ( … ) Dann bricht der Jubel los im fast ausverkauften Großen Haus des Würzburger Mainfranken Theaters. Er währt mehr als zehn Minuten und schließt alle Beteiligten an der Uraufführung des „Steppenwolf“ ein.

Der Schluss der Oper stellt das Publikum zunächst ruhig, weil er so effektvoll ist. Aber ganz ohne vordergründigen Effekt auskommt: Ein nachdenklicher Harry Haller sieht nahezu optimistisch in die Zukunft, glaubt, das Spiel des Lebens nun erneut – und besser! – spielen zu können. Die Musik dazu ist zurückhaltend.

Ganz anders sind die zweienhalb Stunden zuvor. Regisseurin Anna Vita und Ausstatterin Verena Hemmerlein stellen Harry Hallers seelischen Ringkampf mit dem Steppenwolf in sich, mit der Welt und dem Leben in spektakulären, oft surrealen Bildern dar. ( … )Innenwände schieben sich aus dem Hintergrund um Harry Haller, eine bürgerliche Häuserfassade schwebt aus dem Bühnenhimmel, links vorne scheint eine Pflanze ihren eigenen Tanz aufzuführen.

Drehbühne und Hubpodien sind häufig im Einsatz. Vorhänge und Stoffbahnen eröffnen, je nach Beleuchtung, überraschende Einblicke und legen Seelenzustände frei. Da tanzt und feiert im Hintergrund die Gesellschaft – und Harry Haller ist im Vordergrund davon sichtbar ausgeschlossen.

Emotionen in Bewegung

Als versierte Choreografin kann Anna Vita natürlich mit Musik umgehen, kann Bewegungen punktgenau abstimmen, kann die Emotionen, die aus dem Orchestergraben wuchern, in Bewegung auf der Bühne umsetzen. Emotion: Das ist die Stärke der Gattung Oper. Im „Steppenwolf“ wird sie genutzt.

Librettist Rainer Lewandowski ( … ) nutzt auch Gedichte, die Hesse im Vorfeld des Romans zum Thema veröffentlichte, für Arien. Das Libretto springt geschickt durch Szenen der Erzählung. Der Hesse-Fan erkennt genügend markante Zitate.

Und vor allem: Lewandowski („Heute weder Hamlet“) lässt die Hauptfigur von zwei Darstellern spielen. Eine ist der bürgerliche Harry Haller, der andere der Steppenwolf, der Haller bisweilen wie eine Marionette führt, ihm das Rasiermesser an die Kehle setzt. Die Verdopplung ermöglicht es, Monologe in Dialoge der gespalteten Persönlichkeit aufzulösen.

Was der Text allein nicht leisten kann, leistet die Musik von Viktor Åslund, einem bekennenden „Steppenwolf“-Fan ( … ) Der einstige Kapellmeister des Mainfranken Theaters malt farbenreich düstere Seelenzustände ebenso wie leichte Stimmungen (auch mithilfe einer Jazzcombo).( … )

Cinemascope-Komposition

Der „Steppenwolf“ mit Aslunds moderner Tonsprache ist so auch ein Plädoyer für mehr Uraufführungen, für mehr modernes Musiktheater. Dirigent Sebastian Beckedorf und das groß besetzte Philharmonische Orchester bringen die Cinemascope–Komposition des Schweden facettenreich zur Geltung.

Den Darstellern verlangt die Oper, in der viel gesprochen wird, nicht nur sängerisch, sondern auch schauspielerisch einiges ab. Das haben alle drauf, ( … ).

Daniel Fiolka und Bryan Boyce fesseln als Harry Haller und Steppenwolf mit ihrem teils gnadenlosen, teils ironischen Wechselspiel.

Silke Evers verleiht Hermine, die Harry Haller auf den Weg ins Leben führt, von Anfang an eine geheimnisvolle Aura.

Mit Chorszenen (Einstudierung Michael Clark) und Ballett ist der „Steppenwolf“ eine große Oper – und in dieser Umsetzung für Würzburg eine großartige Sache. Ex-Intendant Hermann Schneider – der schon in Linz ist – hat damit noch einen echten Coup gelandet.


Bayerische Staatzeitung              13. Mai 2016

Zwischen Geist und Trieb

Das Würzburger Publikum bejubelt die Uraufführung der Oper „Steppenwolf“

von Renate Freyeisen

(…) Der an seiner bürgerlichen Existenz leidende Held bewegt sich durch verschiedene Sphären: von der Realität über die Unterhaltungsszene bis zur Imagination durch Traum und Rausch – das eignet sich bestens für eine Umsetzung in Musik. Die Zwiegespaltenheit dieser Person wird durch zwei Sänger verkörpert: Harry ist gediegen und hängt eher der Tradition an – sein Alter Ego ist der wilde, ungehobelte Steppenwolf.

Intervalle und Sprünge, abrupte Brüche zeigen die Zerrissenheit dieser dualistischen Figur an, elektronische Klänge unterstreichen die Unwirklichkeit des Magischen Theaters. Jazz, Tanzmusik, Filmmusik und andere musikalische Zitate verweben sich zu einem irritierenden Ganzen.

Das groß besetzte Orchester ist manchmal fast wagnerianisch geballt, dann wieder kammermusikalisch fein. Gesprochene Passagen und angedeutet Ariosenhaftes verweben sich zu einer Atmosphäre innerer Unsicherheit. Nirgends klingt diese Musik disharmonisch; sie unterstützt nach dem Willen des Komponisten die „emotionale Kommunikation“.

Bildstarke Ausstattung

Der Tanz spielt in dieser Oper eine große Rolle – Würzburgs Ballettchefin Anna Vita führt Regie punktgenau zur Musik und äußerst geschickt in der Bewegungschoreografie dieses Personendoppels. In der Kneipe oder beim Maskenball mischt sich die Ballettcompagnie immer wieder unters vergnügungssüchtige Volk.

Die Irritationen Harry Hallers wurden gesteigert durch die bildstarke Ausstattung von Verena Hemmerlein: Anfangs markieren wenige Versatzstücke das bürgerliche Ambiente, später wird es im Tanzlokal mit der dekadenten Amüsier-Gesellschaft immer bunter – man erinnert sich an Szenen der 20er Jahre und an Bilder von Georg Grosz. Das Verrückte der Zeit zeigt sich beim exzessiven, farbenprächtigen Maskenball und beim Magischen Theater, das sich wie eine Blume aus Stoffbahnen kreisrund entfaltet.

Dort gelangt Harry Haller beim Blick in Spiegel zwar nicht zur Selbsterkenntnis, aber er wird von dunklen Wesen mit fratzenhaften Masken verlacht; er hat Hermine getötet, hat nicht gelernt zu lachen.

Gebannt von solchen Bildern, achtet man kaum darauf, dass Sebastian Beckedorf das Philharmonische Orchester sicher durch die vielschichtige Komposition führt und dass der vielfach bewegte Chor seinen Part präzise meistert. Rupert Markthaler imponiert als attraktiver Pablo auch durch sein Saxophonspiel. Barbara Schöller als schwebender Goethe und später als Mozart setzt ihren Mezzosopran jazzig ein. Hervorragend Silke Evers als geheimnisvolle, kühle Hermine in Spiel wie Gesang.

Bryan Boyce als bärtiger Steppenwolf und Daniel Fiolka als förmlicher Harry Haller, auch durch ihre Stimmfarben unterschieden, agieren als stets präsente Gegensätze. Langer Beifall. (Renate Freyeisen)


DIE DEUTSCHE BÜHNE                    Beitrag vom 09.05.2016

Sinnlicher Selbsterfahrungstrip

von Michaela Schneider

Für viele Schüler ist er Pflichtlektüre, für die 68er Generation avancierte er zum Kultroman. ( … )

Und gleichzeitig besticht Hermann Hesses „Steppenwolf“ aus dem Jahr 1927 durch zeitlose Aktualität.( … ) 

jetzt war die Uraufführung des Musiktheaters „Der Steppenwolf“ zu erleben. Das Publikum umjubelte den opulenten Selbsterfahrungstrip mit stehenden Ovationen. ( … )

Åslund, übrigens sein erstes Musiktheater, lässt sich sehr bewusst auf keine Genre-Schublade einengen – das schuldet er letztlich der literarischen Vorlage ( … ) 

Den Selbstfindungstrip des Protagonisten zeichnet Åslund in seiner Komposition nach, bricht mit Gewohntem, wandelt wie selbstverständlich zwischen Oper und Jazz, Arie und Elektronik, scheut nicht vor entfremdeten Zitaten. Zum klassischen Opernstil zu Beginn gesellen sich Stück für Stück neue Elemente. Gleichzeitig eröffnet die kompositorische Grenzenlosigkeit Raum für konträrste Emotionen ( … )

Rainer Lewandowskis Kunstgriff ist clever, er stellt Harry Haller den personifizierten Steppenwolf als ständigen Begleiter an die Seite ( … )

Das „Magische Theater“, jener Ort, an dem der Eintritt den Verstandkostet, und an dem Realität und Fantasie verschwimmen, ließe sich kaum magisch-sinnlicher abbilden. Etliche Bewegungen der Sänger sind gleichzeitig durchchoreographiert, die Ballettcompagnie tanzt zwischen sinnlicher Romantik und wilder Erotik.

Anna Vita zur Seite steht  Bühnen- und Kostümbildnerin Verena Hemmerlein, die beim Bühnenbild mit schwebenden Elementen, mit Drehbühne, Licht, Farben, Tüchern arbeitet. Der luftigen Fantasiewelt stellt sie die sehr greifbaren, schillernden Kostüme der 20er Jahre gegenüber. Szenenweise ist es fast schon ein Zuviel an Opulenz, an Eindrücken für alle Sinne – gerade auch  weil dadurch die Musik selbst in den Hintergrund rückt. Aber so geht es nun einmal auch Harry: Wünsche, Ängste,Verführungen, Räusche, Träume, Versuchungen prasseln auf ihn ein auf der Suche nach seiner eigenen Wirklichkeit.

Einen entscheidenden Anteil daran, dass ein großer Teil des Publikums am Ende stehende Ovationen zollt, hat natürlich auch das Bühnenensemble: Allen voran eine großartige Silke Evers als Hermine und gleichermaßen gesanglich wie schauspielerisch Daniel Fiolka als Harry Haller und „Steppenwolf“ Bryan Boyce.

Dass nach der Pause wenige Plätze im Mainfranken Theater Würzburg frei bleiben, mag wohl daran liegen, dass es manchem sehr klassisch-orientierten, biederbürgerlichen Theatergänger am Steppenwölfischen fehlt.


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WÜRZBURG: DER STEPPENWOLF von Viktor Aslund. Uraufführung

von Werner Häußner

„Es hätte schon lange geschehen sollen“, konstatiert der Chor am Ende des ersten Aktes, als sich der Protagonist der Oper, Harry Haller, endlich auf die geheimnisvolle Zwischenwelt des „Magischen Theaters“ einlässt. Das ließe sich auch über die Musik zu dieser Hermann-Hesse-Oper sagen, die am Mainfrankentheater Würzburg mit viel Jubel und Beifall ihre Uraufführung erlebte. ( … )

Viktor Åslund ( … ) schreibt in der Tradition komponierender Dirigenten ( … ) eine Musik mit hörbaren Wurzeln in den Aufbrüchen der zwanziger Jahre, ( … )

Die ersten exponierenden Takte machen mit den Schichten seiner Musik vertraut: repetierte „patterns“, drohend tiefe Einwürfe der Bläser, eine opalisierende Lasur aus flächigem Streicherklang wie eine Hintergrundfarbe. Dazu prägnante melodische Elemente; keine „Leitmotive“, aber doch markante Tonfolgen mit Wiedererkennungswert.( … )

Åslund tut, was lange verpönt war: Er schreibt gediegen gearbeitete, wirksame Theatermusik, die gefällt, ohne zu bedienen oder in wohlfeilen Effekt abzurutschen. ( … )

Das Libretto stammt von dem erfolgreichen Autor Rainer Lewandowski („Heute weder Hamlet“). Dem langjährigen Intendanten des E.T.A.-Hoffmann-Theaters Bamberg merkt man die intensive Beschäftigung mit Hermann Hesse, aber auch den Einfluss des Bamberger romantischen Geistes an.( … )

Anna Vita, die erfolgreiche Ballettdirektorin des Mainfrankentheaters, setzt auf ihre kraftvolle, bewährte Art des Erzählens, bringt in ihr Debüt als Opernregisseurin eine von ihrem Tanzstil geprägte Körperlichkeit, stößt aber an die Grenzen einer schildernden Regie, weil sie sich von radikaler Stilisierung fern hält.( … )

Wenn am Ende die Figuren in blauem Licht kreisen, denkt man an die „Figuren des Lebensspiels“ aus Hesses „Magischem Theater“ ( … )

Dabei bringt die Bühne von Verena Hemmerlein und ihre fantasievoll gestalteten Kostüme Potenzial mit, den schwankenden Boden der Realität und ihr stets latentes Kippen in innere Abgründe erschauen zu lassen. Die „bürgerliche“ Welt des Professoren-Ehepaars mit Bücherwand und schweren Möbeln steht wie eine Insel im dunkel-offenen Raum; das Zimmer Harry Hallers schwebt in Versatzstücken – biedere Tapete, Waschtisch, Regulator – herbei, als entbehre es einer materiell verfestigten Dreidimensionalität. Für das „Magische Theater“ arbeitet Hemmerlein mit dem probaten Mittel von Stoffhängern, Vorhängen und Licht (Walter Wiedmaier) – einfache Elemente, aus denen sich brillante Wirkungen schlagen lassen.

Aus Harry Haller und seinem Steppenwolf macht das Konzept des Stücks ein Paar nach Art von Jekyll and Hyde. Für Daniel Fiolka und Bryan Boyce eine darstellerische Herausforderung, die beide Sänger beeindruckend umsetzen. Die bewegungsintensive Regie Anna Vitas erfasst die Aspekte einer gespaltenen Persönlichkeit ebenso wie die innere Durchdringung der unterschiedlichen Lebenskonzepte, für die Wolf und Mensch stehen. Silke Evers hat als Hermine eine tragende Rolle in Hesses Kosmos: ( … ) In ihren großen Momenten wird deutlich, was es heißt, wenn ein Komponist einer Sängerin, die er genau kennt, Linien, Phrasen, Melodien schreibt. ( … )

Die Uraufführung ist noch ein Erbe von Hermann Schneider, der bereits die Spielzeit 2016/17 an seinem künftigen Haus Linz vorbereitet. ( … ) ist der „Steppenwolf“ sein künstlerisches Abschiedsgeschenk an das Würzburger Publikum, ( … )

Weitere Aufführungstermine: 11., 21., 31.05.; 02., 15., 17.06.; 01.07.2016.

Werner Häußner


Leporello Kulturmagazin Würzburg    –  Juni  2016

„Der Steppenwolf“

von Michaela Schneider

Auflodernde Begierden

Umjubelte Uraufführung des Musiktheaters „Der Steppenwolf“ am Mainfranken Theater

(…)  Lewandowskis Libretto wird der Komplexität des Hesse-Romans mit

geschickten Kunstgriffen gerecht. Der langjährige Intendant des E.T.A. Hoff-mann Theaters in Bamberg verbildlicht die Zerrissenheit von Hesses Protagonisten. (…)  Harry lebt eingeengt in seiner bürgerlichen Welt, vergöttert Mozart und die Spätromantiker. Doch der Steppenwolf weckt Begierde und die Prostituierte Hermine führt in die Musikwelt der 1920er Jahre.

Åslunds Komposition, das Philharmonische Orchester, eine Jazzcombo, Chor und Solisten machen den hochemotionalen Selbstfindungstrip hörbar. Herausragend in der Sängerriege: Sopranistin Silke Evers als Hermine.

Musiktheater-Regie stellt Würzburgs Ballettdirektorin Anna Vita vor eine neue Aufgabe, trotzdem bleibt sie ihrer bildhaften Handschrift treu. (…)

Das Ballett erschafft poetische, sinnliche Traumwelten.

Bühnen- und Kostümbildnerin Verena Hemmerlein lässt in opulenter, bildhafter Abstraktion Realität und Fiktion verschwimmen, wie es auch Harry erlebt. Die Kostüme entführen originalgetreu in die 1920er Jahre. Manchmal, durch die Fülle an sinnlichen Reizen, verliert sich der Focus auf die Musik. Das Gros des Publikums aber ist fasziniert vom „Steppenwolf“ und belohnt eine herausragende Gemeinschaftsleistung mit stehenden Ovationen.


OPERNNETZ    7. Mai 2016 (Premiere)

Zerrissenens Lebensgefühl

von Renate Freyeisen

„Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust“, das kennt man schon aus Goethes Faust.

Bei Harry Haller, dem zutiefst unzufriedenen Intellektuellen und Hypochonder, ist es neben seiner „bürgerlichen“ Seele die „wölfische“, triebhafte Seele, neben dem Rationalen das Irrationale. (…)

Der schwedische Komponist (Viktor Åslund), in Berlin lebend, hat mit dem Stoff aus Hesses Roman nach dem Libretto von Rainer Lewandowsky für das Mainfranken-Theater Würzburg, seine frühere Wirkungsstätte als Erster Kapellmeister, ein packendes Musiktheater geschaffen. Gerade durch die Musik kann er die verschiedenen Sphären, in denen sich der unzufriedene, an seiner Existenz leidende Harry Haller bewegt, näherbringen, ebenso die Zerrissenheit seines Helden. Dazu passt, dass er den Zwiespalt von dessen Person auch durch zwei Sänger verkörpern lässt, durch den korrekt und gediegen angezogenen Harry und den etwas wild und ungehobelt erscheinenden Steppenwolf. (…)

Das Orchester ist groß besetzt, manchmal fast wagnerianisch bei gesteigerten Klangballungen, dann aber auch wieder fast kammermusikalisch; all das dient dem Ausdruck der inneren Zerrissenheit. (…)

Viele Stilformen, abrupte Pausen und Brüche deuten auf eine Krisis, einen Umbruch der Gesellschaft hin. (…) Nirgends aber klingt diese Musik von Åslund disharmonisch oder intellektuell schwierig. (…)

Auch der Tanz spielt in der Oper eine große Rolle. Deshalb ist es ein genialer Schachzug, dass Anna Vita, die Würzburger Ballettchefin, hier ihre erste Opernregie führen darf. Folgerichtig wandelt sie Inhalte punktgenau auf die Musik und sehr geschickt in Bewegung, (…) etwa wenn Harry Hallers Alter Ego, der Steppenwolf, immer um ihn herumgeistert, auf seinem Bett sitzt, sich zwischen Gesprächspartner schiebt, oder wenn er beim Ringen der beiden Ichs niedergeschlagen wird, wenn Haller förmlich neben Hermine sitzt, der Steppenwolf aber sich über Maria hermacht. Dessen „tierische“ Natur wird gleich am Anfang verdeutlicht bei der Jagd nach dem Reh, der Tänzerin Kirsten Renee Marsh im braven roten Kleidchen, und natürlich führt die Ballettcompagnie in der Kneipe oder beim Maskenball mit synchronen Formationen den Tanz an. Doch auch sonst sorgt die Regie für wirbelnde, geradezu irritierende Bewegung, wenn der Chor sich in der Kneipe vergnügt (…).

All diese Irritationen Hallers werden noch gesteigert durch die bildgewaltige Ausstattung von

Verena Hemmerlein, unterstützt vom perfekt darauf abgestimmten Licht von Walter Wiedmaier. Im eigentlich schwarzen Bühnenraum deuten zuerst einige wenige Versatzstücke die Dachkammer Harry Hallers mit den geblümten Tapeten an, dann die gutbürgerliche Stube des Professors mit den Gipsköpfen der Geistesgrößen, bis schließlich Haller und Steppenwolf, aus dem Haus gewiesen, auf dem Weg durch die Stadt ans Magische Theater kommen, aber nicht eingelassen werden. Sie landen in der Tanzkneipe mit roten Sofas und Theke; transparente Vorhänge, durch verschiedenfarbiges Licht als Abtrennung genutzt, geben immer wieder den Blick frei auf eine vergnügungssüchtige Menge; zwei Prostituierte, Hermine und Maria, unterhalten den zuerst widerspenstigen Harry, während sich der Steppenwolf sofort wohl fühlt. Am Ende, nach dem Maskenball, in den sich Haller hineinstürzt, wo ihm Hermine als Hermann und dann als schwarze Pierrette erscheint, darf er ins Magische Theater eintreten. Dieses entfaltet sich aus einer Blume aus Stoffbahnen und umrundet mit transparenten Vorhängen eine Art Manege, lässt Harry in Spiegel schauen, die ihn eigentlich nicht zur Selbsterkenntnis führen, und als nach der Tötung Hermines durch den eifersüchtigen Harry diese weißen Bahnen fallen, wird er von dunklen Dada-Wesen mit fratzenhaften Masken ausgelacht: Er hat alles ernst gemeint, sollte aber über sich selbst lachen.

Verena Hemmerlein erinnert bei den Kostümen an die Zeit der Entstehung von Hesses Roman, an die 1920-er Jahre, und in den Kneipenszenen sind die Kleider der skurrilen Masse des Chors inspiriert von Bildern von Georg Grosz, erinnern an die Dekadenz und übersteigerte Verrücktheit der Zeit.

Der Maskenball aber vereint alle möglichen Epochen und Gestalten in farbenprächtigen Verkleidungen. Dass Mozart und Goethe sich in ihrem Rokoko-Outfit ähneln, ist sicher Absicht: Sie sind Vertreter vergangener, feudaler Zeiten.

Diese äußerlich aufwändig und kongenial inszenierte Oper findet ihre Entsprechung in der geglückten musikalischen Interpretation. Sebastian Beckedorf führt das aufmerksam mitgehende Philharmonische Orchester Würzburg mit Umsicht und Elan durch die vielschichtige Komposition, und der ständig in Bewegung befindliche Chor meistert nach der Einstudierung durch Michael Clark seinen Part mit erstaunlicher klanglicher Präzision.

Dass die Sänger-Darsteller so überzeugen, ist ein Gewinn für die abwechslungsreiche Inszenierung. (…)

Das Premierenpublikum feiert mit stehenden Ovationen, vielen Bravorufen und mehreren Vorhängen ausgiebig eine gelungene Uraufführung in der fränkischen Provinz.

Renate Freyeisen