Ballett von Can Arslan
Nordharzer Städtebundtheater Halberstadt/Quedlinburg
Bühne, Kostüme _ Verena Hemmerlein
Premiere _ 29. Februar 2020
Fotos _ Holger Hofmann, Ray Behringer






























Pressestimmen
Volksstimme Halberstadt – 27.02.2020 – Bibermagazin

Volksstimme Halberstadt – 04.03.2020 – Renate Petrahn
Gefeierte Premiere für „Schwanensee“ am Nordharzer Städtebundtheater in Halberstadt
Mit Szenenapplaus, Beifallsstürmen und stehenden Ovationen überschüttet das Publikum die Mitwirkenden. Die Premiere von „Schwanensee“ beweist erneut, dass die Tanzcompagnie des Nordharzer Städtebundtheaters den Vergleich zu großen Häusern nicht zu scheuen braucht.
Unter der Leitung von Ballettdirektor Can Arslan gelingt es der kleinsten Sparte des Nordharzer Städtebundtheaters, dank eines besonderen und innovativen Engagements mit dieser abendfüllenden Choreografie ihr Publikum zu begeistern. (…)
Mit seinem Handlungsballett mit Musik von Peter Tschaikowski hat Can Arslan einen „Schwanensee“ 2.0 zwischen Realismus und Surrealismus choreografiert. Seinen 10 Tänzerinnen und Tänzern gelingt es, mit Dynamik und Konzentration, ausgezeichneter Körperbeherrschung und Technik, klassisches Ballett mit modernem Tanztheater harmonisch zu verbinden.
Kongenial zur Arbeit des Choreografen hat Verena Hemmerlein Kostüme und ein Bühnenbild entworfen, das sparsam in den modernen Teilen, romantisch-mystisch in den Szenen am Schwanensee, den Spagat der Handlung zwischen Gegenwart und Traum aufgreift. Faszinierend an der bemerkenswerten Szenografie sind die beeindruckenden Licht- und Technikeffekte, genial der unterschiedlich beleuchtete Plafond.
Schon der Prolog macht deutlich, wohin die Reise geht. Siegfried sitzt als Kind (Finja Novitzki) am Bühnenrand, trägt eine Kamera um den Hals und spielt mit einem weißen und einem schwarzen Schwan, die er in je einer Hand hält, eine Konstellation, die sein weiteres Leben bestimmen wird.
Zunächst ist Siegfried als gesuchter Fotograf bei einer Fashionshow zu erleben. Mit einer Prise Ironie setzt die Compagnie tänzerisch die Spielregeln der Modewelt mit ihrem Glamour und der Freude an der eigenen Inszenierung um. Selbst die nahezu obligatorische Assistentin darf nicht fehlen. Beeindruckend der sprunggewaltige Hugo Prunkt als Modedesigner.
Doch bald zeigt sich, dass diese Welt der Reichen und Schönen nicht seine Welt ist. Siegfried flüchtet in eine Traumwelt, an den Schwanensee, hier glaubt er, Sicherheit zu finden. Der vorherrschend lyrisch-elegische Ton am Schwanensee übt einen einzigartigen Zauber auf ihn aus und nimmt ihn gefangen.
Obwohl Can Arslan in seinem Psycho-Tanzdrama weitestgehend die weißen Schwanenakte ohne Spitzenschuhe mit Ausnahme von Odette/ Odile tanzen lässt, auf einige Bravour-Nummern verzichtet, bleibt die Inszenierung tänzerisch wie optisch ein Ereignis. Hervorragend wie Cristian Colatriano den Protagonisten Siegfried, als Solist, im Duo mit Odette/Odile und im Trio mit Odette/Odile und Rotbart in seiner Zerrissenheit und seinem Schwanken zwischen Realität und Traum tanzt. (…)
Im Laufe der Handlung werden Odette, Odile und der in allen Akten teils im Hintergrund, teils im Vordergrund, in Gestalt einer Eule stets präsente Zauberer Rotbart, mehr und mehr zu realen Gestalten für den labilen Siegfried. Faszinierend in der Doppelrolle als Odette/Odile ist Caterina Cerolini. Mit ihrer Interpretation des weißen und des schwarzen Schwans tanzt sie ein mitreißendes Charakter- und Seelenporträt beider Schwäne.
Der Dritte im Bunde ist der Zauberer Rotbart, der mit seinen manipulativen Techniken nicht nur die Schwäne, sondern auch Odile, das Odette-Double, zu Marionetten macht und dem letztlich auch Siegfried zum Opfer fällt. Michele Carnimeo tanzt den Bösen mit verhaltener Energie, stets zielgerichtet, die Kontrolle zu behalten. (…)
Musikalisch untermalt wird das Psycho-Drama von den differenziert spielenden Harzer Sinfonikern. Unter der achtsamen Leitung von Fabrice Parmentier dem neuen 1. Kapellmeister, bereichert das Orchester den Abend mit einem wunderbaren Hörgenuss. Bemerkenswert die punktgenaue Abstimmung zwischen dem Tanzgeschehen auf der Bühne und der Musik aus dem Orchestergraben.
Nach der umjubelten Premiere git es nur eine Schlussfolgerung. Dieser „Schwanensee“ 2020 hat Suchtpotenzial und dürfte für weitere ausverkaufte Vorstellungen sorgen.
Mitteldeutsche Zeitung – 03.03.2020 – Uwe Kraus
Schwanensee auf Laufsteg
Can Arslan choreografiert das wohl berühmteste Ballett der Welt mit seiner Compagnie.
Wie er die Strenge des klassischen Balletts aufbricht.
(…) Ja, es gelingt dem international agierenden Choreographen, die tänzerischen Wellen hoch schlagen zu lassen. Gerade weil er sich gar nicht erst an der Choreografie Marius Pepitas messen lassen will, (…) setzt Arslan auf eine völlige Neukonzeption des Ballettstoffes und kommt dabei in der Welt der „Yellow press“ des 21. Jahrhunderts an.
Zwei Jahrhunderte nach Tschaikowskys Siegfried macht sich ein Sinnlicher auf in die Gestaden der Models. Bis auf einige Ballett-Puristen feiert das Publikum nach knapp zwei Stunden Tanz im Stile eines modernen Handlungsballetts mit Standing Ovations das Ensemble, den Choreografen, seine hervorragende Ausstatterin Verena Hemmerlein und einen Fabrice Parmentier, der mit dem Dirigat von „Schwanensee“ in Halberstadt als Kapellmeister sein Debüt gibt. (…)
Die Partitur gilt gemeinhin als Wiege des sinfonischen Balletts. (…) Das russische Original liefert in Halberstadt die Ballettmusik, die die Harzer Sinfoniker unter dem neuen französischen Kapellmeister Fabrice Parmentier direkt aus dem Orchestergraben auf die Bühne schicken. Sein Klangkörper inspiriert gerade mit den Holzbläsern und Streichern das Geschehen spürbar.
Can Arslan bricht mit einer modernen Schwanensee-Sicht die Strenge des klassischen Balletts auf, überrascht, lässt Körper zucken, bringt große Dynamik ins Spiel, aber auch viel Tristesse, Abgeklärtheit und die emotionale Flach- und Kurzlebigkeit des Showgeschäftes. Die großen Tableaus und Gesellschaftsszenen, sie finden eine neue Bühne am Rande der Prèt-à-porter-Schauen zwischen Mailand und Paris. Dabei vertraut der Choreograf auf die körperlichen Fähigkeiten der Compagnie, aber ebenso auf das Mienenspiel mit und ohne Masken.
Es ist wie bereits in „Carmen“, „Traumfänger“ und „Mozart-Requiem“ Verena Hemmerlein, die zur Choreografie ein beeindruckendes Bühnenbild und passende Kostüme schafft. Durchscheinende Wände, Lichteffekte, Masken und Tücher, Pastell-Farben im Modedesign und feine Schwanen-Federn tragen zum optischen Erlebnis bei.
Die Halberstädter Compagnie wirkt erstaunlich homogen und folgt dem fast durchgängig zeitgenössischen Tanzstil. Herausstechend dabei mit Grandezza Caterina Cerolini, die weite Strecken durchgehend auf Spitze tanzt; anmutig, rätselhaft, zuweilen fragil – verzaubernd als Odette wie als ihr Alter Ego Odile. Cristian Colatriano bringt einen zerrissenen Siegfried auf den Tanzteppich, keinen dem Märchen entsprungenen Prinzen; hektisch suchend in der Blitzlichtgewitter-Realität: zuckend, sich windend, durchaus mit tänzerischer Präsenz und auf ganz spezielle Art beeindruckend im Pas de deux mit Cerolini.
Can Arslan hat Tschaikowskys großen Ballett-Klassiker aus einem radikal veränderten Blickwinkel gelesen und seine ganz eigene Story gestrickt, fernab des gewohnten lyrisch-elegischen Tons. Das Premierenpublikum goutiert das und jubelt minutenlang.